Expertentipp zum Thema Gewinnmitnahmen, Aktien und Korrektur unter der Lupe. Finanzporno?

Expertentipp zum Thema Aktien und Korrektur unter der Lupe

Ein Expertentipp für Aktien ist eine feine Sache, sollte man meinen. Doch manchmal ist es schwer Tipps von echten Experten und Finanzpornografie zu unterscheiden. Bei einem aktuellen Artikel zu Gewinnmitnahmen bei einer Korrektur kamen mir jedenfalls ein paar Zweifel an der Sinnhaftigkeit.

Laut dem Expertentipp, denn ich auf finanzen.net entdeckt habe, sollen Investoren jetzt Gewinne realisieren, um dann auf eine günstige Gelegenheit für einen Wiedereinstieg zu warten. Ob das sinnvoll ist? Was meinst Du?

Market-Timing vs Buy and Hold

Aha. Das ist jetzt zunächst einmal die alte Market-Timing-Geschichte. So weit so gut. Es klingt ja auch verdammt toll. Du steigst zum Höchststand aus, wartest eine ordentliche Korrektur oder sogar einen ausgewachsenen Crash ab und steigst dann um den Tiefstpunkt herum wieder ein. Einfach, oder?

Warum Market-Timing als Mittel zur Renditesteigerung nicht funktioniert ist gut untersucht. Dazu muss man eigentlich keine weiteren Worte verlieren. Tatsächlich schafft es nur ein geringer Prozentsatz der professionellen Anleger über einen längeren Zeitraum, damit den Markt zu schlagen.

Über Privatanleger wie Dich und mich braucht man da eigentlich gar nicht mehr reden. Die Gründe für das Scheitern sind vielfältig. Zunächst einmal ist es unwahrscheinlich, dass ein Privatanleger den Markt besser versteht oder bessere Informationen erhält als die Mehrheit der professionellen Marktteilnehmer.

Es ist schwer, vorherzugsagen, welche Aktien wann steigen oder sinken und für wie lange. Ideale Ein- und Ausstiegszeitpunkte lassen sich nicht ermitteln und Emotionen wie Angst und Gier machen das Ganze nicht besser.

Ein Expertentipp, der Privatanlegern rät, den Markt mit Market-Timing zu schlagen, ist daher bereits vom Ansatz her fragwürdig. Dem Otto-Normalverbraucher ist mit einem simplen Buy and Hold-Ansatz, also Kaufen und Halten, in der Regel deutlich besser gedient.

Der Expertentipp unter der Lupe

Engagement beim S&P 500 verringern

Hier könnte ich jetzt eigentlich aufhören. Doch der erwähnte Artikel toppt das Ganze noch. Der Expertentipp bezog sich auf den S&P 500, einen Index, der die 500 größten amerikanischen Unternehmen beinhaltet.

Anleger sollten demnach jetzt ihr Engagements beim S&P 500 verringern, weil der Experte mit einer Korrektur rechnet. Insgesamt geht er aber davon aus, dass der S&P 500 bis zum Jahresende aber noch um 15% steigen könnte.

Bereits hier kamen mir einige Fragen. Woher weiß der Mann das alles? Gut. Der Konjunktiv wurde verwendet, aber das ist doch alles überhaupt nicht sicher. Es kann doch eigentlich wirklich niemand genau wissen, wie sich der Aktienmarkt entwickelt, auch (oder gerade) kein Experte.

Ein schönes Beispiel, was solche Artikel bei Privatanlegern auslösen. Eine Verwandte sprach mich vor Kurzem an, dass sie gelesen hätte, es würde ein Crash erwartet und was sie denn jetzt tun solle. Verkaufen?

Konkrete Umsetzung – 1, 2 oder 3% reduzieren und nach Korrektur von 5-10% wieder einsteigen

Kurios fand ich die konkreten Ratschläge, wie Du das für Dich nutzen könntest. Es sei nun „an der Zeit, ein, zwei oder drei Prozent herauszunehmen“ und dann wieder einzusteigen, wenn eine Korrektur von 5 bis 10% erfolgt ist.

Zunächst einmal verwundert es mich natürlich, wenn ein Experte mit sehr konkreten Zahlen hantiert und dann doch nur eine ganz bedachte Reduktion von 1, 2 oder 3% vorschlägt? Warum so zögerlich? Ist er sich vielleicht doch nicht ganz so sicher?

Lassen wir das jetzt erst Mal stehen. Ich stelle mir das jetzt einfach Mal vor. Ich gehe raus, weil ich eine bestimmten Börsenstand für den Höchststand halte. Hier gibt es bereits zwei Möglichkeiten: die Kurse steigen weiter oder fangen an zu sinken.

Was in einem Anleger vorgeht, der sinkenden Kurse erwartet, die dann doch immer weiter steigen, mag ich mir nicht vorstellen. Begeisterung ist es sicher nicht. Wer ersetzt Dir den Schaden, wenn Du jetzt aussteigst, die Kurse weiter steigen und Du dann teurer wieder einsteigen musst?

Was nützen Expertentipps bei Korrekturen. Am Aktienmarkt herrschen oft Angst und Schrecken, gerade bei Korrekturen
Helfen Expertentipps gegen Angst und Schrecken am Aktienmarkt?

Doch was wenn die Kurse tatsächlich wie vorhergesagt um 5 bis 10 Prozent gefallen sind? Ist dann alles gut? Vermutlich nicht. Für einen Privatanleger nach der Gewinnmitnahme dürfte das trotzdem sehr bedrohlich wirken.

Er ist froh, dass jetzt ein Teil des Geldes in Sicherheit ist. Wer möchte denn bei fallenden Kursen einsteigen? Kein Mensch weiß, ob das dann nicht so weitergeht. Die wenigsten dürften das schaffen, vermute ich.

Aber nehmen wir an, Du bis so diszipliniert und der Coup glückt. Auch hier gibt es wieder zwei Möglichkeiten. (a) Die Aktienkurse können weiter fallen und das wird sich auch dann wieder nicht gerade gut anfühlen.

Da Du ja bereits mit Kaufen und Verkaufen, mit Market-Timing, angefangen hast, ist die Verlockung sicher groß, damit weiter zu machen. Mit großer Wahrscheinlichkeit gibt es dann zahlreiche weitere Expertentipps, die Dir raten, jetzt unbedingt auszusteigen. Ein größerer Schaden ist dann vorprogrammiert.

Was bringt das Ganze? Wie viel Gewinn ist drin?

Aber was, wenn (b) tatsächlich alles gut und nach Plan läuft? Die Aktienkurse steigen wieder. Du bist dem Expertentipp gefolgt und hast 3% Deiner ETF-Anteile oder Aktien zum Höchststand verkauft. Nach einer Korrektur von 10% bist Du dann beim Tiefststand wieder eingestiegen.

Super. Dann hast Du doch einen tollen Gewinn gemacht, wenn die Aktien wieder steigen, oder? Ähm. Kommt darauf an, wie viel Kapital Du eingesetzt hast. Schauen wir uns doch Mal an, was Dir das pro 10.000 Euro gebracht hätte.

Gehen wir mal davon aus, Du setzt den Expertentipp voll um. Du liquidierst nicht nur läppische 1 oder 2%, sondern die vollen 3%. Deine 10.000 € hast Du in einen ETF auf den S&P 500 investiert, der aktuell 1€ pro Anteil Wert ist.

Nachdem Du 3% zum Höchststand verkaufst, hast Du nun, nach Adam Riese, 300€ an Barschaft pro 10.000€ investiertes Kapital. Dieses Summe kannst Du nach der bevorstehenden Korrektur wieder investieren. Zusätzlich beträgt der Wert Deiner restlichen Anteil 9.700€.

Doch jetzt kommt die Korrektur. Die 300€ bleiben Dir, aber der Wert Deiner Anteile sinkt um 10% und beträgt letztlich 8.730€. Ein Anteil ist jetzt 0,9€ Wert.

Dank des Expertentipps vermutest Du richtig, dass der Tiefststand am Aktienmarkt erreicht ist und investierst beherzt die 300€. Im Gegenzug erhältst Du jetzt 333,33 Anteile. Das sind 33,33 Anteile mehr als Du vorher hattest. Du hältst damit fantastische 10.033,33 Anteile. Das Ganze setzt natürlich voraus, dass Du auch Bruchstücke handeln kannst.

Auch weiter läuft alles nach Plan. Die Börsen steigen wieder und liegen bis zum Jahresende 15% über dem vorherigen Stand. Jeder Deiner Anteile ist nun 1,15€ Wert. Juhu, Dein Portfolio hat einen Wert von 11.538,33€ erreicht. Das Ganze natürlich vor Steuern und vor Kosten.

Dank des Expertentipps liegt der Wert Deines Portfolios nun also 1538,33€ über dem Ausgangswert. Das ist doch wirklich ein stolzes Ergebnis. Vielleicht ist da also eine Entschuldigung fällig. Doch kein Finanzporno?

Zeitpunkt1.1Verkauf von 3% am 1.1Korrektur von 10%Kauf bei Korrektur31.12 (15% Kurssteigerung im Vergleich zum 1.1)
Wert des Depots/Bargeld10.000€/0€9.700/300€8.730€/300€9030€/011.538,33€/0€
Anteile/Wert eines Anteils10.000/1€9.700/1€9.700/0,9€10.033,33/0,9€10.033,33/1,15€

Was, wenn Du stattdessen einfach nichts machst?

Ich halte den Expertentipp weiterhin für einen schlechten Tipp. Ich bleibe dabei. Zum Vergleich, schau Dir einfach Mal an, was passiert, wenn Du einfach nichts machst und das Geld liegen lässt.

Wenn Du weder verkaufst noch kaufst, geht Dein Portfolio nach unten und wieder nach oben. Es würde dann am Jahresende 15% über dem Ausgangswert liegen. Das entspricht einem Portfoliowert von 11.500€.

Moment Mal. Kann das sein? Dein phänomenaler Gewinn mit dem vom Experten beschriebenen Market-Timing beläuft sich also gerade einmal auf was? 38,33€ zusätzlich je 10.000€ investiertes Kapital? Gut. Du kannst natürlich sagen, 38,33€ sind auch ein schöner Zugewinn, insbesondere wenn die Marge stimmt.

ZeitpunktEndstand 31.12 (15% Kurssteigerung über dem Wert vom 1.1)Vergleich (Buy and Hold) 31.12
Wert des Depots11.538,33€/0€11.500€
Anteile/Wert eines Anteils15,38%15%

Du solltest Dir jedoch klar machen, das beim Verkauf von ETFs natürlich auch Steuern anfallen. Zusätzlich dürften da noch direkte oder indirekte Kosten beim Kauf und Verkauf dazukommen. Etwas Zeit musst Du auch zusätzlich investieren.

Schon ist das alles nicht mehr so beeindruckend. Statt einer Rendite von 15% erzielst Du mit dem Expertentipp eine Rendite von 15,38%. Als wäre das alles nicht genug, hast Du keine Gewähr, dass der Expertentipp überhaupt funktioniert. Es kann auch ganz anders kommen.

Das Ganze funktioniert ja nur, wenn alles so läuft wie vorhergesagt (1. Problem) und Du dann die Nerven behältst und alles genau so umsetzt (2. Problem). Und dann muss sich auch wieder alles wie vorhergesagt weiterentwickeln (3. Problem).

Du riskierst also letztlich Verluste, um im Idealfall eine zusätzliche Rendite von 0,38% zu erhalten. Für mich klingt das nicht nach einem guten Risiko-Ertrags-Verhältnis.

Der S&P 500 kann sich stattdessen ja auch ganz toll nach oben bewegen und Du bist nicht dabei. Dann wirst Du Dich ärgern und entweder zu einem höheren Preis einsteigen oder weiter an der Seitenlinie warten.

Fazit – Also doch Finanzporno?

Mein Expertentipp als Nicht-Experte: am besten nicht auf solche Expertentipps hören. Sonst fängst Du nur an zu handeln und das bringt Dich, in der Regel, nicht voran.

Klar kannst Du auch Mal Glück haben damit. Es gibt ja auch genug Leute, die im Lotto gewinnen oder beim Roulette auf die richtige Farbe setzen. Erwartbar oder sicher, dass Du so Gewinn machst, ist es aber nicht.

Was in der Vergangenheit hingegen gut funktioniert hat war, einfach abzuwarten. Der S&P 500 – oder besser gleich ein weltweit diversifiziertes Portfolio – hat sich mit der Zeit immer nach oben entwickelt.

Anleger mussten nur investiert bleiben und haben am besten gar nichts gemacht. Dein Anlagehorizont sollte daher lang genug sein. Mehr als 10 Jahre sollten es definitiv sein.

Die Beträge machen übrigens auch eine andere Sache deutlich. Wenn der Experte sicher wäre, warum schlägt er denn 1, 2 oder 3% vor? Dann doch gleich richtig.

Na, weil der Experte selbst halt auch nicht sicher ist. Wie auch? Er ist ein Experte und nicht Gott. Er hat keine Ahnung, was in Zukunft wirklich passieren wird. und das kann er auch nicht…

Was werde ich also bei der aktuellen Marktsituation tun? Dasselbe wie immer. Nicht auf Expertentipps hören, Finanzpornos ignorieren oder am besten gar nicht erst lesen, Füße still halten und investiert bleiben.

P.S.: dem anderen Tipp, dieses Jahr in Emerging Markets zu investieren, schließe ich mich an und setze ihn um. So wie jedes Jahr werde ich auch dieses Jahr wieder (unverändert) in Schwellenländer investieren…

Auf Deine Kommentare und Anregungen freue ich mich bereits! Hinterlasse doch gerne eine kurze Nachricht und sag mir, was Du von dem Artikel hältst. Neben Lob und freundlichen Worten sind kritische Anmerkungen ebenfalls willkommen. Sie helfen mir dabei, den Artikel zu verbessern. Wenn Dir der Artikel gefällt, dann teile ihn gerne mit anderen und erzähl mir ruhig davon! Darüber freue ich mich auf jeden Fall!

Expertentipp zum Thema Aktien und Korrektur unter der Lupe 1

Kommentare

2 Antworten zu „Expertentipp zum Thema Aktien und Korrektur unter der Lupe“

  1. Ich bin sehr enttäuscht von diesem Artikel! 😉

    Beim Lesen der Einleitung sind mir spontan eine Reihe von Punkten in den Kopf geschossen, die man zu dem Thema sagen kann. Beim weiteren lesen sind noch weitere hinzu gekommen. Und was soll ich sagen, ALLE diese Punkte wurden von dir angesprochen…

    Einzig die Diskussion, warum der „Experte“ 1-3% Gewinnmitnahme vorschlägt und nicht 0% oder 100% (er ist doch Experte, er weiß also genau was passiert) hätte meiner Meinung nach etwas früher kommen können um den Leser direkt zu zeigen wie unsinnig das ganze ist und das dieser Experte selber weiß, dass er keine Ahnung hat.

    1. Puh. Bei dem Anfangssatz dachte ich erst, Du meinst meinen Artikel. Hatte mich schon gefragt, ob ich mir da ein paar grobe Schnitzer erlaubt habe. 😉
      Danke für die Anregung. Ich schaue Mal, ob/wie ich es weiter oben einbauen kann.

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